Veranstaltung: | Landesparteitag |
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Tagesordnungspunkt: | Anträge |
Antragsteller*in: | LAG Mensch & Tier (dort beschlossen am: 12.09.2019) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 19.09.2019, 17:17 |
T 2: Tierschutz ernst nehmen
Antragstext
Tierschutz ernst nehmen
Paradigmen-Wechsel in der Tierseuchenbekämpfung: Wirtschaftlichkeit darf nicht
dominierender Entscheidungsfaktor bei Maßnahmenwahl zur Tierseuchenbekämpfung
sein, sondern dem Wohl jedes Tieres ist mehr Berücksichtigung als bisher
einzuräumen.
Antrag:
Aus unserer Verpflichtung und Verantwortung gegenüber Tieren, und aus dem
Bekenntnis zu den Grundsätzen, auf denen das deutsche Tierschutzgesetz aufgebaut
ist, wollen wir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schleswig-Holstein als Partei und in
Regierungsverantwortung:
1. Wir nehmen den Grundsatz im § 1 Tierschutzgesetz, der als Zwecksetzung
formuliert, Leben und Wohlbefinden jedes Wirbel-Tieres zu schützen, ernst. Wir
bekennen uns ebenfalls zu dem Grundsatz, dass einem Tier nicht Schmerzen, Leiden
oder Schäden zugefügt werden dürfen, wenn nicht ein vernünftiger Grund dafür
vorliegt.
2. Tierseuchenbekämpfung soll, soweit nicht die Gesundheit von Menschen
betroffen ist, zuerst der erfolgreichen Bekämpfung einer Krankheit dienen.
Kurzfristige Ziele müssen die Wiederherstellung von Gesundheit für die
betroffenen Tiere und die Erhaltung von Leben und Gesundheit noch nicht
Infizierter sein. Mittelfristiges Ziel ist die tierfreundliche Prävention von
durch Tierseuchen erzeugbare Leiden und Schmerzen zum Beispiel durch Gestaltung
von Umwelt, bevorzugter Genetik und immunitätsfördernden Maßnahmen. Maßnahmen
zur Bekämpfung von Tierseuchen sind zuvorderst auf das Wohl und den Schutz von
Tieren als Ziel auszurichten.
a) Hierfür ist es notwendig, dass, den Begriff Tierseuchen und im Zusammenhang
damit ausgelöste Zwangsmaßnahmen des Staates einzugrenzen auf Krankheiten, die
regelmäßig hohe Mortalität bei Wirten zeigen beziehungsweise als gefährlich in
seinen Auswirkungen auf das Tier bekannt sind und deren Übertragung schnell und
intensiv abläuft. Das Tierseuchenschutzgesetz ist entsprechend anzupassen.
b) Im Fall, dass wirtschaftliche Überlegungen bei der seitens des Staates
erwogenen Ergreifung von Maßnahmen eine Rolle spielen, etwa die Sicherstellung
der Aufrechterhaltung des internationalen Handels mit Tier-Produkten, müssen
solche Überlegungen klar abgegrenzt und Dritten nachvollziehbar kenntlich
gemacht werden, ganz besonders der Öffentlichkeit.
c) Wir streben an, dass Maßnahmen, die überwiegend ökonomischen Zielsetzungen
dienen wie zum Beispiel, dass Tiere „vorsorglich“ getötet werden, nachrangig
gestellt werden. Es gilt, das Recht eines jeden Wirbeltieres auf Leben und
Wohlbefinden zu beachten.
d) Im Fall, dass staatlicherseits Maßnahmen ergriffen werden sollen, um
Wirtschaft und Handel prioritär zu schützen, müssen Tierhalter die Möglichkeit
haben, sich für eine tierfreundlichere Alternative zur staatlich vorgesehenen
Tötung oder tendenziell tierschutzwidrigen, zum Beispiel verhaltenswidrigen,
Haltung ihrer eigenen Tiere zu entscheiden. Im konkreten Fall heißt das auch,
dass Heilversuche und Impfungen nicht weiterhin verboten sein dürfen.
e) Tierhaltungen, deren Zwecksetzung nicht das in den Verkehr bringen von
Lebensmitteln tierischen Ursprungs ist, müssen vom Gesetzgeber von denjenigen
Maßnahmen und -bündeln entkoppelt werden, die vor allem das Ziel verfolgen, den
Handel mit Lebensmitteln tierischen Ursprungs zu sichern. Tierhalter sollen
durchsetzen können, dass ihr Tier, gleichgültig, welche Tierart, ob Hund,
Kaninchen, Rind oder Pferd, Huhn oder Wellensittich, gleichbehandelt wird
hinsichtlich seines Rechtes auf Leben und Wohlbefinden.
f) Es ist staatlicherseits als Maßnahme zur Bekämpfung schwerwiegender
Symptomatik als Folge von Infektionen zu formulieren, dass anfällige Genetik in
wirtschaftlich bedeutsamen Haltungen perspektivisch zurückgedrängt wird. Es ist
staatlicherseits darauf hinzuwirken, dass die Umweltbedingungen der potenziellen
Wirtstiere entscheidend so verbessert werden, dass Kontakte mit Erregern harmlos
bleiben.
3. Es ist auf die Handelspartner in EU und international entsprechend
einzuwirken.
4. Wir streben eine baldige Ächtung von Massentötungen als vorbeugende oder
begleitende Maßnahme von Erreger-Evidenzen an, wenn Heilung möglich wäre, ganz
besonders dann, wenn die Tötungen gegen den Willen des Tierhalters angeordnet
werden.
5. Die Landtagsfraktion wird aufgefordert, innerhalb der nächsten zwei Jahre mit
den ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten eine rechtsbindende Regelung zu
erarbeiten und den Parteigremien vorzustellen, die Tierhalter nutzen können, um
ihre jeweiliges Tiere als nicht der Lebensmittelerzeugung dienend klassifizieren
lassen zu können mit dem Ziel, schwerwiegende Eingriffe am Leben oder
Wohlbefinden ihrer Tiere im Zuge von handelsökonomisch motivierten
Tierseuchenbekämpfungsmaßnahmen begegnen zu können.
Begründung
Art. 20 a GG und Art. 11 der Landesverfassung SH in Verbindung mit § 1 TSCHG halten wir nicht nur für eine hohle Phrase.
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass der Begriff „Tierseuchenbekämpfung“ regelhaft benutzt wird, um das Tierschutzgesetz und seine Konkretisierungen faktisch außer Kraft zu setzen. Es handelt sich in weiten Teilen nicht etwa um sich ergänzende, sondern um kontrovers stehende Rechtsvorschriften.
In den Vollzugsbehörden dieser Republik gilt „Tierseuchenrecht bricht Tierschutzrecht!
Früher war der Begriff „Seuche“ mit einem Infektionsgeschehen oder einer Krankheit verknüpft, welche gekennzeichnet war erstens durch Gefährlichkeit und zweitens durch eine Tendenz zur Massenausbreitung.
Unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit hat eine Um-Definition stattgefunden: Als Tierseuche ist heute schlicht ein Krankheitsgeschehen definiert, welches staatliches Handeln auslöst.
Nicht jede gefährliche Infektion ist demnach also eine Tierseuche, andererseits können harmlose Krankheiten nach dieser Definition durchaus das Etikett „Seuche“ tragen.
Die so genannte Tierseuchenbekämpfung orientiert sich weniger am Wohl des einzelnen Tieres als vielmehr an der Aufrechterhaltung der Ungestörtheit des internationalen Handels mit Erzeugnissen aus der wirtschaftlich orientierten Tierhaltung. Im Zuge dieser Maßnahmen werden Tiere, ohne die tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen, in Abhängigkeit von ihrer zoologischen Zugehörigkeit zu einer Tierart als Nutztier kategorisiert und entsprechenden Regelungen unterworfen. Das hat in den letzten Jahren zu steigendem Unmut bei etlichen ihre Tiere liebenden Tierhaltern und anderen Menschen geführt, die Tierschutz ernst nehmen. Besonders kontroverse Auseinandersetzungen laufen, wenn staatlicherseits Anordnungen zur Tötung von völlig gesunden Tieren in Liebhaber-Haltung ergehen, wenn vorbeugende Impfungen verboten werden, wenn das Heilen erkrankter Tiere verboten ist, oder wenn nachweislich immunstarke Tiergenetik auf stattliche Anordnung hin gezielt ausgemerzt wird. Auf diese Weise wurde in der Vergangenheit nicht nur Tieren ohne ethische Begründbarkeit Leid angetan, sondern auch seelisches Leid bei manchem Tierhalter erzeugt und obendrein wurde nach Meinung vieler wissenschaftlich orientierter Tierzüchter eine fatal-falsche Selektionsstrategie eingeschlagen.
Das gilt es zu korrigieren.
Wir übersehen nicht die Bedeutung des international verflochtenen Handels mit Tier-Produkten,
aber wir sprechen uns klar dafür aus, dass globale Wirtschaftsinteressen nicht die einzig dominierende
Maxime unseres gesellschaftlichen Handelns sein dürfen. Es muss daneben auch ein Existenzrecht
geben für die gelebte Umsetzung anderer, gesellschaftlich anerkannte Werte.
Unterstützer*innen
Zustimmung
- Dennis Edelmann
- Iris Westenfelder
- Stephan Wiese
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